Warum ist es so seltsam still, atme ich doch (Deutsch)
Zu schweren und schwerelosen Arbeiten von Hyunsung Park
Jeder wähnt sich sicher auf dem Erdboden stehend, während man im physikalischen Sinn immerfort nach unten fällt. Auch menschliche Körper, eigene und fremde, ziehen einander unaufhörlich an, nach einem anderen, dunkleren Gesetz der Schwere.
Die Gravitation als omnipräsente Anziehungsmacht ist stets eine bestimmende Größe in den Arbeiten von Hyunsung Park, auch wenn diese Fixierung eine unbewusste ist. Nicht nur kann der Stuhl, ein wichtiges Thema ihrer früheren Arbeiten, als Instrument zur Schwerkraftbewältigung gelesen werden. Auch die Performance „Schaukeln“, die gewiss einen Wendepunkt im Schaffen der Künstlerin markiert, entspringt einer Reflexion über den Sinn der Schwere. Denn der Schaukel ist gleichsam ein dynamisierter Stuhl, der die vertikale Schwerkraft nicht ruhig aushält, sondern diese in eine horizontale Bewegung übersetzt. Die Schwerkraft ist dann die unwiderstehliche Anziehungskraft des Anderen, welche die selbstzerstörerische Fahrt des Ich beschleunigt. Der Andere, dessen Platz vom Zuschauer eingenommen wird, bleibt allerdings schlechthin unnahbar. Das Ergebnis ist, wie man vermuten kann, eine Katastrophe der Wiederholung. Die semantische Form dieser schmerzhaften Wiederkehr des Gleichen ist eine Tautologie: Ich kann nicht der Andere sein, denn, ich kann nicht der Andere sein. Die erlebte Unmöglichkeit der Einswerdung mit dem Anderen wird so zu einer Sisyphos-Arbeit.
Der Andere besucht unseren Leib auch in seiner Abwesenheit, zieht ihn an und bringt ihn zu Fall. So erlebt zumindest die Künstlerin die Wundmale am Gesicht, die bei ihr unbewusst entstehen. Die Gespaltenheit des Selbst hinterlässt Spuren, welche wiederum als Fallwunden der eigenen unbekannten Tiefe erkannt werden können. Man lernt es nur früh genug, solche Bruchstellen des Selbst zu vertuschen, und eine glatte Oberfläche zu tragen, das Gesicht. In „Du bist mein Spiegel“ wird dieser Mechanismus des Sich-Schminkens allerdings so invertiert, dass der Andere sich darin spiegeln kann – was zur Folge hat, dass das Ich-Gesicht dementsprechend gelöscht wird.
Das Färben, ein Grundgeschehen im neueren Schaffen der Künstlerin, erscheint gegenüber dem sinnlich-performativen Charakter der vorigen Arbeiten als abstrakt-offene Technik. Die bisherigen Elemente werden hier variiert und ineinander auflöst. Dies beginnt schon mit „Abwesenheit“ als Abdruck eines winzigen Stuhls, der das Stuhlmotiv in das Medium des Färbens überträgt. In „Unerreichbar“ wiederholt sich die Tragödie der Unnahbarkeit, aber in einem organischen Prozess des Wachstums. Der Arbeitsprozess erinnert äußerlich an Bewässern und Züchten von Pflanzen, aber auch hier ist eine Verkehrung im Spiel: Die dunklen Zweige wachsen nach unten in die Tiefe, entlang der Schwere des Materials und lichtscheu. Jedoch im Tiefpunkt angekommen, verhalten sich die Schattenpflanzen wie die Baumkronen, die Kontakt miteinander meiden. Die Sehnsucht wird im letzten entscheidenden Moment verleugnet – was bleibt, ist ein Röntgenbild der Berührungsangst.
Diese organische Tendenz in den neueren Arbeiten drückt sich weiter in einem Fallenlassen der Schwere aus. Diese deutet sich schon in „Dafür gibt es irgendwo passende Gründe“, wo die obsessiven Formelemente wegbrechen, um eine prozesshafte, lebendige Antwort auf das Problem der Schwere zu ermöglichen. Provisorisch scheint die Anordnung, das Werk noch im Werden, die Form ist offen. Dafür wurde auch „Stühle-Gemeinschaft“ abgewrackt, sieht man, eine der formstrengsten Arbeiten der Künstlerin. Es ist klar, dass hier sich jemand im Transit befindet, im Aufbruch, wo man geliebte Dinge fallen- und hinter sich lässt.
Färben ist ein einmaliger Vorgang, bei dem die Spuren unwiderruflich in die Materie sich festsetzen. Aber: Selbst die schwersten Flecken sind ohne Gewicht. Deshalb können Arbeiten wie „Benimm dich“ bzw. „Habe mich benommen“ das Thema des Zwangs und der Unfreiheit spielerisch antasten. Auch die Tiefe hat eine Oberfläche, die Lichtmomente in sich birgt („Oberfläche der Tiefe“). Es ist Atempause.
Text von Sool Park, 2020
Why is it so strangely quiet, me breathing (English)
On the heavy and weightless works by Hyunsung Park
Everybody thinks they are standing safely on the ground, while in the physical sense they are falling down all the time. Human bodies, our own and others’, also attract each other incessantly, according to a different, darker law of gravity.
Gravitation, as an omnipresent force of attraction, is always a determining factor in the works of Hyunsung Park, even if this fixation is an unconscious one. The chair, an important theme of her earlier works, cannot only be read as an instrument for coping with gravity. The performance “Swinging”, which certainly marks a turning point in the artist’s work, also originates from a reflection on the meaning of gravity. The swing is a dynamic chair, as it were, which does not withstand the vertical force of gravity calmly, but translates it into a horizontal movement. Gravity is then the irresistible attraction of the other, which accelerates the self-destructive journey of the ego. The other, whose place is taken by the viewer, however, simply remains inaccessible. The result is, as one might expect, a catastrophe of repetition. The semantic form of this painful recurrence of the same is a tautology: I can’t be the Other, because I can’t be the Other. The experienced impossibility of becoming one with the Other thus becomes a Sisyphean task.
The Other visits our body even in its absence, attracts it and brings it down. Thus, at least the artist experiences the scars on her face, which she unconsciously creates. The cleavage of the self leaves traces, which in turn can be recognised as fall wounds of unknown depth. One only learns early enough to cover up such fractures of the self, and to wear a smooth surface, the face. In “You are my mirror”, however, this mechanism of putting on make-up is inverted in such a way that the other person can be reflected in it, the consequence being that the Ego-Face is accordingly deleted.
Dyeing, a fundamental process in the artist’s more recent work, appears as an open-abstract technique in contrast to the sensory-performative character of her previous works. The previous elements are varied here and dissolve into one another. This already begins with “Absence” as the imprint of a tiny chair, which transfers the chair motif into the medium of dyeing. In “Unreachable”, the tragedy of aloofness is repeated, but in an organic process of growth. The work process is externally reminiscent of watering and growing plants, but here too, there is a reversal at play: The dark branches grow downwards into the depths, along the weight of the material, shy of light. However, when they reach the depths, the shadow plants behave like the treetops, avoiding contact with each other. The longing is denied at the last decisive moment; what remains is an X-ray of the fear of contact.
This organic tendency in her more recent works is further expressed in shedding heaviness. This can already be seen in “There are suitable reasons somewhere”, where the obsessive formal elements break away to allow for a processual, lively response to the problem of gravity. The arrangement seems provisional, the work still in progress, the form is open. For this purpose, “Chairs Community” was also dismantled, one of the artist’s most formal works. It is clear that someone is in transit here, in a state of departure, where loved things fall away and are left behind.
Dyeing is a unique process in which the traces become irrevocably fixed in the matter. However, even the heaviest stains are weightless. Therefore, works such as “Behave yourself” and “Behaved myself” playfully touch upon the theme of coercion and lack of freedom. Depth also has a surface that contains moments of light “Surface of the depth”; it gives time to stop and breathe.
Translated by Paul Adie
Ein Stuhl ist kein Stuhl, alles Übrige aber auch nicht (Deutsch)
Zu Stühlen und Stuhlbildern von Hyunsung Park
Der Stuhl ist, vielleicht weil er zum Allergewöhnlichsten gehört, kein richtiges Objekt. Er gehört nicht eigentlich der Dingwelt an, da er uns dafür zu nahesteht. Aber gerade dort, wo die Körper von Mensch und Stuhl sich am intimsten berühren, wahrt dieser die harte Grenze des Objekthaften. Bisweilen ist uns zwar, als würde uns der Stuhl in den Armen halten, fast wie ein Liebender – doch fehlt hier ganz die Möglichkeit einer Erwiderung. Es ist eine seltsame Einsamkeit um dieses Gerät, den Stuhl, was ihn befähigt, zu einer Metapher der Existenz zu werden: Zuerst zu einer Metapher des Zwischenmenschlichen, dann aber auch des Alleinseins.
Wir sehen eine Reihe von Stühlen, die in missliche Schieflagen geraten sind. Unwiderruflich missgestaltet und aus dem Gleichgewicht gebracht, sind sie unfähig zu jener Aufgabe, die ihnen das Existenzrecht gibt. Statt zu tragen und zu stützen, müssen diese unbeholfenen Konstrukte nun selbst ertragen und abgestützt werden. Sie sind, in menschlichen Begriffen gefasst, beziehungsunfähig geworden. Dieser verdrehte Funktionszusammenhang erzeugt neue Rollen: Versucht man, den alten Gewohnheiten folgend, doch auf ihnen zu sitzen, so muss man sich an etwas anderem festhalten – und die exakte Menge an Fremdhilfe wird dabei mathematisch gemessen, in Kafka’scher Manier („Messen Sie Ihre Abhängigkeit“). Die Beziehungsarbeit, die bisher stillschweigend vom Anderen geleistet wurde, fällt nun auf das Ich zurück. Oder der gebrochene Stuhl braucht, damit er stehen kann, einen weiteren Stuhl, der noch kleiner und gebrochener ist („Unausgewogene Abhängigkeit“); die Last des Zusammenseins wird immer nach unten delegiert. Das Gleichgewicht im Zusammensein mit dem anderen ist ein immer gefährdetes, es erfordert ständig Opfer. Und schließlich braucht der missratene und gefährdete Stuhl einen Menschen, der plötzlich in die verkehrte Lage gerät, dem Stuhl seine Stütze zu sein, ja dem Stuhl sein Stuhl zu sein („Jemand muss belastet werden“).
Die Gesellschaft der Stühle („Stühle-Gemeinschaft“) ist dagegen ein ganz anderer Blick auf das Beziehungsgefüge seine Problematik. Waren die obigen „kranken“ Stühle wesentlich dysfunktional, so ist die Stühlegemeinschaft hyperfunktional: Sie gliedert einen jeden in den festen Ordnungszusammenhang ein, und legt so der Gemeinschaft eine rigide Struktur auf. Die Individualität der Stühle verschwindet hier in einer verschlossenen Monotonie; ebenfalls ihre Eigenschaft, die in den anderen Arbeiten so wichtig war – nämlich ihre Fähigkeit, umzufallen, nach Hilfe zu rufen, und so in eine Beziehung zu treten. Wir sehen: Ein Stuhl ist kein Stuhl; die Gesellschaft der Stühle ist aber ebenfalls kein Stuhl.
Es ist die Menschlichkeit der Stühle, ihre morphologische Ähnlichkeit mit dem menschlichen Körper, warum sie das vielfache Scheitern des Zwischenmenschlichen metaphorisch vertreten können. Analog kann der Stuhl deshalb auch zu einem Bild des Selbst werden, was sich zuerst in den intimeren Ausdrücken des Grafischen niederschlägt. Schattenhaft und fragmentiert erscheint das flüchtige Selbst: Auf sich selbst zurückgeworfen erfährt sich das Bewusstsein als ein instabiles Neben- und Übereinander von Teilen („Unbekannte Ichs“). Das Alleinsein ist, sowie das Zusammensein, gefährdet und entfremdet. In der Sprache der Stühle geredet: Die Stuhlteile werden gewaltsam amputiert und zu labyrinthischen Kompositionen gezwungen, d.h. zu Selbstbildern, aus denen man sich nicht mehr herausfindet („Un-sichtbar“). Oder die Stühle entdecken sich selbst als eine temporäre Station in der unendlichen Reihe zufälliger Wandlungsmöglichkeiten: In „einfach zu ersetzen“ ist das Stuhlsein so provisorisch und akzidentell, dass es fast schmerzt. Es ist diese Brechung des Ichs, die auf das Trauerobjekt Stuhl projiziert wird.
Text von Sool Park, 2020
A chair is not a chair, but neither is anything else (English)
On the chairs and chair depictions by Hyunsung Park
The chair is, perhaps because it belongs to the most ordinary of things, not a real object. It does not really belong to the world of things because it is too close to us. However, it is precisely in this space, where the bodies of humans and chairs touch each other most intimately, that the latter preserves the hard border of objecthood. From time to time we feel as if the chair is embracing us in its arms, almost like a lover. However, there is no possibility of any reciprocation. There is a strange loneliness around this device, the chair, which enables it to become a metaphor of existence: Firstly a metaphor of interpersonal relationships, but then also of being alone.
We see a number of chairs that have fallen into awkward inclinations. Irrevocably deformed and pushed beyond equilibrium, they are incapable of the task that gives them the right to exist. Instead of bearing and supporting, the weight of these clumsy constructions now has to be borne and supported. They have, in human terms, become relationship incapable. This twisted functional context creates new roles: If you try to follow old habits and sit on them, you have to hold on to something else – and the exact amount of outside help is measured mathematically, in Kafka’s manner (as in “Measuring your dependence”). The relationship work, which was previously done tacitly by the other, now falls back on the ego. Or the broken chair needs another chair, even smaller in size and in even more shattered pieces (“Unbalanced dependence”) in order to stand; the burden of being together is always delegated downwards. The equilibrium of being together with the other is always in danger, it requires constant sacrifice. And finally, the wayward and endangered chair needs a person who suddenly finds her or himself in the wrong position for the chair to be her or his support, indeed for the chair to be her or his chair (“Someone has to be burdened”).
The grouping of chairs (“Chairs community”) is, on the other hand, a completely different overview of the relationship structure of her or his problems. If the above “sick” chairs were essentially dysfunctional, the chair grouping is hyperfunctional: It integrates everyone into a fixed order and thus imposes a rigid structure on the grouping. The individuality of the chairs disappears here in a closed monotony; just as their characteristic that was so important in the other works – namely their ability to fall over, to call for help, and thus enter into a relationship. Thus: A chair is not a chair; but the grouping of chairs is not a chair either.
It is the humanity of the chairs, their morphological resemblance to the human body, that enables them to metaphorically represent the multiple failings of interpersonal relationships. Analogously, the chair can therefore also become a depiction of the self, which is first reflected in the more intimate expressions of graphic representations. The fleeting self appears shadowy and fragmented: Thrown back on itself, consciousness experiences itself as an unstable juxtaposition and superimposition of parts “Unknown egos”. Being alone, like being together, is endangered and alienating. As spoken in the language of chairs: The parts of the chair are forcibly amputated and forced into labyrinthine compositions, i.e. into self-depictions from which one can no longer find one’s way out “In-visible”. Or the chairs discover themselves as a temporary station in the infinite series of random changes: In “Easy to replace”, the essence of the chair is so provisional and accidental that it almost hurts. It is this refraction of the ego that is projected onto the object of mourning, the chair.
Translated by Paul Adie